Kurz nach der Jahrtausendwende begannen die Preise für Wohnimmobilien in Australien spürbar zu steigen, gefördert durch ein stark wachsende Kreditvergabe der Banken an Bauherren. Sehr wahrscheinlich wurde dieser Boom durch mehrere Ursachen begünstigt. Die Notenbank hatte zu Beginn des Jahrzehnts ihren Leitzins in mehreren Schritten von 6,25 auf 4,25 Prozent gesenkt, aber von einer extremen Lockerung konnte keine Rede sein, da der Leitzins über der Inflationsrate blieb. Die Deregulierung von Finanzmärkten, ein extremer Wettbewerbsdruck auf dem australischen Bankenmarkt sowie steuerliche Vergünstigungen für Bauherren dürften den Boom ebenfalls begünstigt haben.
Dann griffen die Behörden ein. Die Notenbank erhöhte ihren Leitzins in mehreren Schritten auf 5,25 Prozent und die Regierung beschloss Regulierungen, darunter eine höhere Unterlegung von Immobilienkrediten mit Eigenkapital durch die Banken. Die Zinserhöhungen wurden offiziell allerdings nicht mit der Lage am Häusermarkt begründet, sondern mit Inflationsgefahren. Australien war mit dieser kombinierten Politik aus Zinserhöhungen und Regulierungen sehr erfolgreich: Die Spekulationsblase am Häusermarkt verschwand, ohne dass die Wirtschaft wegen der Zinserhöhungen in eine Krise gestürzt wäre. Auch geriet das Banksystem nicht in eine Krise.
Es kann aber auch schief gehen. Ein abschreckendes Beispiel liefert die japanische Immobilienkrise von vor rund einem Vierteljahrhundert. Im Japan der achtziger Jahre hatte sich ein Boom am Immobilienmarkt entwickelt, gefördert durch eine lockere Geldpolitik, eine Deregulierung der Finanzmärkte mit Ausnahme der Banken sowie die Entwicklung neuer Finanzprodukte. Die Bank von Japan schaute der Entwicklung lange zu und begann erst im Jahre 1989, ihren Leitzins zu erhöhen, dann aber sehr heftig. Der Leitzins stieg von 2,5 Prozent im Mai 1989 auf 6 Prozent im Jahre 1990. Gleichzeitig wurde durch Regulierungen den Banken die Vergabe von Immobilienkrediten erschwert. Das Ergebnis war eine schwere Bankenkrise, ein Abgleiten der Wirtschaft in eine Rezession und eine anschließende viele Jahre währende Stagnation, obgleich die Bank von Japan ihren Leitzins in der Krise senkte und die Regierung mit Käufen fragwürdiger Kredite, Kapitalhilfen für Banken sowie einer expansiven Finanzpolitik gegensteuerten.
Warum funktionierte eine Politik in Australien, die in ähnlicher Form zuvor in Japan gescheitert war? Es ist alles eine Frage des richtigen Zeitpunkt und der richtigen Dosierung, lautet die Antwort von Markus Brunnermeier (Princeton University) und Isabel Schnabel (Universität Mainz). Brunnermeier ist einer der international führenden Finanz- und Makroökonomen, Schnabel gehört seit kurzem dem deutschen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage („Fünf Weise“) an. In einer gemeinsamen Arbeit, die kürzlich auf einer Tagung der Norges Bank vorgestellt wurde, haben die beiden Autoren 23 Spekulationsblasen 1) untersucht – von der legendären niederländischen Tulpenkrise im frühen 17. Jahrhundert 2) bis zu den jüngsten Immobilienkrisen in den Vereinigten Staaten und in Spanien. Sie wollen wissen, ob sich aus den geschichtlichen Erfahrungen Lehren für die Bewältigung künftiger Krisen ziehen lassen.
Eine klare Botschaft lautet: Die von der amerikanischen Fed unter Alan Greenspan nach außen vertretene – wenn auch in der Praxis nicht puristisch verfolgte – Strategie empfiehlt sich nicht, weil die wirtschaftlichen Kosten zu hoch sind. Sie lief darauf hinaus, Spekulationsblasen zu ignorieren und nach ihrem Platzen die Geldpolitik zu bemühen, eventuelle wirtschaftliche Schäden zu beseitigen (“cleaning up the mess”). Ein Argument der Befürworter lautet, dass sich Spekulationsblasen oft erst im Nachhinein identifizieren ließen. Diese Strategie lasse sich vor allem in „relativ unreifen Finanzsystemen“ beobachten, schreiben Brunnermeier und Schnabel und zitieren die australische Krise des Jahres 1893 mit ihren Spekulationen in Land und Minenaktien.
Ein rechtzeitiges Vorgehen gegen Spekulationsblasen empfiehlt sich daher (“lean against the wind”). Jedoch gibt es kein allgemein gültiges Vorgehen. Vor allem ist es nicht möglich, eine der beiden Optionen, der Geldpolitik (Leitzinserhöhungen) oder der sogenannten makroprudentiellen Politik (Regulierungen) klar zu favorisieren. Vielmehr ergänzen sich die beiden Instrumente. „Solange Probleme in bestimmten Wirtschaftszweigen oder Institutionen klar bestimmt werden können, sind gezielte makroprudentielle Maßnahmen vorzuziehen“, schreiben Brunnermeier und Schnabel. „Falls diese Maßnahmen die Kreditexpansion nicht bremsen können, wird es des Zinsinstruments bedürfen.“
Beide Ansätze besitzen Vor- und Nachteile: 3) Der Leitzins sei ein grobes Instrument und erfasse auch Teile der Wirtschaft, die nicht von Spekulationen heimgesucht würden, schreiben die beiden Autoren. Andererseits könne man ihm kaum ausweichen. Zugunsten der makroprudentiellen Politik spreche, dass sie zielgerichtet gegen die von Spekulationen erfassten Wirtschaftszweige eingesetzt werden kann – aber sie schaffe dort auch Anreize, die Regulierungen zu umgehen.
Aber nicht nur die Wahl des richtigen Instruments ist schwierig, auch der Zeitpunkt des Einsatzes und die Dosierung sind nicht leicht zu wählen. Brunnermeier und Schnabel schildern mit Blick auf frühere Erfahrungen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Manchmal unterschätzen Notenbanken einen Boom. Im Vorfeld der jüngsten amerikanischen Immobilienkrise hatte die Fed ihren Leitzins bereits im Jahre 2004 erstmals erhöht, aber dann dem weiteren Anstieg der Häuserpreise mehrere Jahre zugesehen. Ein weiteres Beispiel für ein zu mildes Eingreifen stellt die Gründerkrise nach 1871 in Deutschland und in Österreich dar. Im englischen Eisenbahnboom nach 1840 reagierte die Bank of England viel zu spät. Das Ergebnis war eine Rezession und eine schwere Bankenkrise nach dem Platzen der Blase. Umgekehrt sind Fälle bekannt, in denen Notenbanken ihre Leitzinsen wegen einer Spekulationsblase so stark anhoben, dass die Wirtschaft in eine Rezession stürzte.
Unterschiedliche Erfahrungen hat man aber nicht nur mit der Geldpolitik gemacht, sondern auch mit der makroprudentiellen Politik. Als Erfolg gilt ihre Wirkung im Boom der Jahre 1920 bis 1926 am amerikanischen Immobilienmarkt. Hier wirkten noch aus dem 19. Jahrhundert stammende Regulierungen der Kreditvergabe der Banken, so dass es im Laufe der Krise nicht zu einer Gefährdung des Banksystems kam. In anderen Krisen wirkten Regulierungen weniger stark als erwartet. Im Vorfeld der jüngsten spanischen Immobilienkrise wurde die Bedeutung spezieller Eigenkapitalregeln der Banken für die Kreditvergabe dagegen überschätzt.
Allgemeine Schlussfolgerungen für die Bekämpfung von Spekulationsblasen sind schwierig, weil sie sehr verschieden sind. Das beginnt schon bei dem Begriff „Spekulationsblase“, den Brunnermeier und Schnabel, wie sie einräumen, unscharf verwenden. 4) Denn nicht in jedem Falle, in dem eine Spekulationsblase vermutet wird, müssen sich die Preise von einem – in der Regel nicht präzise kalkulierbaren – fundamentalen Wert entfernt haben. Des weiteren hat es sehr unterschiedliche Spekulationsobjekte gegeben. Sie reichten von Tulpen über Zucker, Getreide, Aktien, Anleihen, Land und Immobilien bis zu Infrastruktur wie Eisenbahnen.
Meist gingen Spekulationsblasen billiges Geld voraus, häufig wurden sie durch eine starke Kreditexpansion begleitet. Manchmal sorgten Kapitalzuströme aus dem Ausland für die Finanzierung von Spekulationen und nicht selten wurden sie durch Deregulierung von Finanzmärkten sowie neue Finanzprodukte befördert. Am gefährlichsten sind meist Spekulationen gewesen, die durch eine starke Kreditexpansion begleitet waren, weil nach dem Platzen der Blase viele Kredite faul wurden und damit die Stabilität von Banken unterhöhlten: “Generally, the financing of asset bubbles seems to be more relevant than the type of bubble asset.”
Gleichwohl scheint die alte Feststellung des Ökonomen John Kenneth Galbraith zu gelten, wonach zu einer Spekulationswelle in der Regel mehr gehört als billiges Geld. Typischerweise lassen sich Auslöser beobachten, die Spekulationen anregen. Das können technische Innovationen sein wie früher die Eisenbahn, Finanzinnovationen wie die Verbriefung von Krediten oder mit Deregulierungen verbundene neue Geschäftsmöglichkeiten wie im Falle der Schattenbanken. Die Gründerkrise im Deutschen Reich profitierte von französischen Reparationen nach dem Krieg von 1870/71 und einer Reform des Aktiengesetzes. Begleitet werden solche Auslöser von, wie Brunnermeier und Schnabel schreiben, „Euphorie und optimistischen Erwartungen, die Menschen glauben lassen, dass der Preisanstieg immer weitergehen wird.“
——————————————————————————————
1) Die meisten der von Brunnermeier/Schnabel behandelten Krisen finden sich auch in Charles Kindlebergers Standardwerk über Finanzkrisen (“Maniacs, Panics and Crashes”).
2) Der Link führt unter anderem zu einer Artikelreihe über historische Finanzkrisen, die wir im Jahre 2008 in der F.A.Z. veröffentlicht hatten.
3) “Overall, policy rate leaning policies and macroprudential instruments appear to be complementary. Should a central bank indeed decide that an active stance against bubbles is desirable, then a combination of macroprudential tools and active interest rate policy would seem preferable. As long as problems are detected in specific sectors or within particular institutions, targeted macroprudential measures are sufficient. If the bubble is not concentrated, if it is identified reasonably early, or if regulatory arbitrage is a serious threat, then a proactive interest rate policy may well be the best way to go.” (Brunnermeier/Schnabel)
4) Brunnermeier hat sich sehr ausgiebig mit der Theorie und Praxis von Spekulationsblasen befasst, zum Beispiel in einem mit Martin Oehmke verfassten Handbuchartikel.
Dies ist die überarbeitete Version eines Artikels, der am 16. Juli 2014 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.
von Gerald Braunberger erschienen in Fazit - das Wirtschaftsblog ein Blog von FAZ.NET.